Zwischen Nationalismus und Weltpfadfinderbewegung
Tagungsband 2014, S. 35 -47
Zusammenfassung:
Als die Pfadfinderbewegung um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert entstand, befand sie sich unter dem Einfluss von drei politisch-ideologischen Tendenzen, die in einem Spannungsverhältnis zu ihrem globalen bzw. internationalen Anspruch stehen: Kolonial-Imperialismus, Militarismus (bzw. Bellizismus) und chauvinistischer Nationalismus. Die deutsche Sonderentwicklung, die mit einem aggressiven und expansionistischen Radikalnationalismus verbunden war, hat diese problematischen Tendenzen auf besondere Weise verschärft.
Nach dem Fortfall der überseeischen Schutzgebiete und Kolonien im Umfeld des Ersten Weltkriegs verlor der Kolonialismus in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts für die deutsche Pfadfinderbewegung an Bedeutung. Im Zuge der Demokratisierung der bundesdeutschen Gesellschaft und der Einordnung der Bundeswehr in die parlamentarisch-demokratische Grundordnung trat dann in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auch die militaristisch-bellizistische Tendenz in den Hintergrund. Die Gefahr des radikalen Nationalismus kann dagegen noch nicht als überwunden gelten.
Bis heute setzen ihre historisch gewachsenen „Sonderwege“ (z. B. „bündische“ Traditionen, organisatorische Zersplitterung in teils kleine bis kleinste Einzelverbände, ein teilweise distanziertes Verhältnis zur Weltpfadfinderbewegung) die deutsche Pfadfinder-„Szene“ bzw. einige ihrer Strömungen besonderen Risiken aus. Durch neuere internationale Entwicklungen und Deutschlands veränderte Rolle in Europa und der Welt steigt die Gefahr, dass nationaler Chauvinismus, Militarismus und neokolonialer Imperialismus wieder an Relevanz gewinnen. Welche Potenziale kann die deutsche Pfadfinderbewegung als Teil einer globalen Jugendbewegung demgegenüber mobilisieren, um internationalen Ausgleich und Verständigung, friedliche Konfliktlösung und demokratischen „Verfassungspatriotismus“ zu stärken?