Das Dschungelbuch als Erziehungsfolie oder das eigene Fremde als Projektion auf die Tierwelt
Dr. Sven Kluge, Universität Duisburg-Essen
Abstract:
Der Vortrag ‚Das Dschungelbuch als Erziehungsfolie’ konzentriert sich zum einen auf die pädagogischen Leitgedanken, die die von Rudyard Kipling (1865-1936) verfassten, in den Jahren 1894 und 1895 zuerst erschienenden Dschungelbücher enthalten. Von herausragender Bedeutung ist hierbei der sog. Mogli-Zyklus, der gerade aus erziehungswissenschaftlicher Sicht den Kern der Dschungelbücher bildet.
Intensiv zu berücksichtigen sind hierbei jedoch die historischen und kulturellen Kontexte, in die diese Erzählungen eingebettet sind sowie die mit diesen spezifischen Kontexten eng verbundenen Intentionen des Autors – ein bis heute oft vernachlässigter, vielleicht sogar verkannter Aspekt. Dieser Rahmen, in dem die Dschungelbücher fest verortet sind, wird deshalb zunächst abgesteckt: Zum Einstieg richtet sich der Fokus auf die Biografie Rudyard Kiplings, ausgehend von diesen einleitenden Bemerkungen werden dann die Ausprägungen des imperialistischen Denkens bei Kipling, der von Hannah Arendt sogar als ‚Schöpfer der imperialistischen Legende’ bezeichnet wurde, sowie die Grundzüge seiner kulturkritischen Lebensphilosophie umrissen, in deren Zentrum das Leitmotiv des ‚Gesetzes’ steht.
Diese Ausführungen dienen dazu, die konstruierten Bereiche des ‚Eigenen’ und des ‚Fremden’ transparent zu machen und damit zugleich Kiplings Standpunkt zu verdeutlichen, der in den Dschungelbüchern zum Ausdruck gelangt: Insbesondere der Mogli-Zyklus enthält pädagogische und politische Programmatiken, die kritisch aufzuarbeiten und zu diskutieren sind. Von besonderer Bedeutung sind hierbei – man denke vor allem an die mit Blick auf die Tierwelt betriebene Animalisierung – Projektionsmechanismen, aus denen Leitlinien der (Selbst-)Regierung, sozialen Hierarchisierung und Identitätsformung hervorgehen, die in einem deutlichen Konflikt mit demokratischen, liberalen und nachkonventionellen Erziehungsvorstellungen stehen.