Spiel, Erlebnis, darstellendes Spiel, entdeckendes Lernen, musische Erziehung, ästhetische Bildung, Grundbegriffe und Grundformen
Prof. Dr. Johannes Bilstein, Düsseldorf
Veröffentlichungstitel: Spiel, Erlebnis, darstellendes Spiel. Ästhetische Bildung und musische Erziehung in der Pfadfinderschaft
Tagungsband 2016, Seiten 131-148
Vortragsthesen:
Wie alle sozialen Gruppen, so definieren sich auch Jugendgruppen nicht zuletzt über ihre gemeinsamen Inszenierungen und Rituale, also über ihre ästhetischen Praktiken.
Diese Praktiken sind gerade im Bezug auf die Jugendbewegungen, die sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelt haben (Wandervogel, Pfadfinder), genau und ausführlich beschrieben und erforscht worden (z.B. Breyvogel in Witte (Hrsg.) 2015).
Solche Praktiken ergeben und entwickeln sich immer auch vor dem Hintergrund zeitgenössischer mentalitärer Großtrends, auf der Folie also derjenigen jeweils aktuellen Diskurse, die in einer Kultur intensiv und unter Umständen mit Leidenschaft geführt werden.
Ein wichtiger Hintergrund für die Diskussionen und Auseinandersetzungen um die ästhetischen Praktiken der frühen Pfadfinder-Bewegung stellen die Diskussionen und Auseinandersetzungen um Konzepte der „ästhetischen“ bzw. „musischen“ Bildung dar.
Diese Konzepte gehen – einerseits – auf die Denktraditionen des deutschen Idealismus (Friedrich Schiller) zurück, beziehen sich – andererseits – auf die Erneuerungs- und Aufbruchsbewegung, die sich unter dem Signum einer umfassenden „Lebensreform“ am Anfang des 20. Jahrhunderts in ganz Europa konturiert hat.
In der Folge – insbesondere nach dem zweiten Weltkrieg – entwickelt sich dann eine zunehmend kontroverse, oftmals in direkte Konkurrenzen und gegenseitige Diffamierungen mündende Gegenüberstellung dieser beiden Konzepte. Dabei geraten die gemeinsamen Intentionen häufig in Vergessenheit, stehen sich vielmehr die Vertreter der musischen Bildung und der ästhetischen Erziehung als Gegner und direkte (Ressourcen-) Konkurrenten gegenüber.
Das in den 1970er Jahren sich herauskristallisierende Konzept der „kulturellen Bildung“ liefert dann eine Kompromiss-Formel, auf die sich die meisten der Protagonisten – wenn auch manchmal unwillig – einlassen können und die nicht zuletzt eine effektivere politische Interessenvertretung möglich macht.
Bei aller Unschärfe – zum Beispiel des Kultur-Begriffs – bietet die Bezeichnung „Kulturelle Bildung“ so eine zusammenfassende und die Gemeinsamkeit der Interessen betonende begriffliche Lösung , die sich zur argumentativen Begründung ästhetisch-kultureller Ambitionen als sehr wirksam erwiesen hat.
Andererseits jedoch dürfen die durchaus unterschiedlichen Akzentuierungen, die sich aus den Bezügen auf die Traditionen der „ästhetischen Bildung“ bzw. der „musischen Erziehung“ ergeben, nicht vergessen oder vernachlässigt werden: gerade in ihrer Pluralität erlauben es diese Bezüge, vielfältige und fruchtbar heterogene Konzepte und Projekte zu entwickeln und zu realisieren.