Aufwachsen zwischen Traditions- und Zukunftsorientierung Matthias D. Witte, Yvonne Niekrenz
Springer Verlag für Sozialwissenschaften Wiesbaden, 2013 ISBN 978-3-658-00693-8 |
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Vorwort
Pfadfinderbewegung und Wissenschaft sind sich lange Jahre aus dem Weg gegangen; mehr als 100 Jahre hat es gedauert, bis Pfadfinden ein Objekt wissenschaftlicher Betrachtung wurde. So geschehen auf der ersten wissenschaftlichen Fachtagung im März 2010 in Wolfshausen bei Marburg. Interdisziplinär beleuchteten Historiker, Erziehungswissenschaftler und Soziologen die weltumspannende Bewegung, die gerade in Deutschland besondere Ausprägungen kennt. Dem großen Zuspruch und Nachklang dieser ersten Fachtagung geschuldet, fanden sich exakt zwei Jahre später am gleichen Ort erneut unter der wissenschaftlichen Leitung von Prof. Dr. Matthias D. Witte, der auch die erste Tagung maßgeblich mitgestaltete und verantwortete, Wissenschaftler aus verschieden Disziplinen ein, und mit ihnen eine große Zahl von Tagungsteilnehmern zwischen 20 und 90 Jahren jedweder jugendbewegter und fachlicher Couleur.
Professor Witte und seiner Kollegin Dr. Yvonne Niekrenz gelang es, über das lange Wochenende hinweg gemeinsam mit den sehr unterschiedlichen Referenten und äußerst diskussionsfreudigen Teilnehmern einen Spannungsbogen aufzubauen, dessen Essenz in diesem Buche nachzuverfolgen ist.
Als Pfadfinder sind wir es gewohnt, weit größere Veranstaltungen auf die Beine zu stellen. Aber keine der großen Fahrten und internationalen Jamborees (Weltpfadfindertreffen) hat es bislang geschafft – es war ja auch nicht ihr Auftrag – der Pfadfinderbewegung einen Spiegel vorzuhalten, den sie dringend benötigt, um sich ein unabhängiges Eigenbild zu verschaffen, um zu verstehen, wie sie in die und in der Gesellschaft wirkt. Doch Spiegel reflektieren nicht nur. Spiegel können auch Licht konzentrieren, polarisieren und umlenken. So wie sich gesellschaftliche Veränderungen immer auch in der Pfadfinderbewegung wiederfanden, so ist es wichtig und vielleicht sogar notwendig, dass Pfadfinden seine über 100 Jahre unverändert bestehenden ethischen und pädagogischen Werte mitten ins Herz unserer Gesellschaft zurückwirft, mit konstruktiver Zivilisationskritik, am konkreten Beispiel aufzeigend, wie Erziehung anders funktionieren kann, Millionenfach erprobt. Nämlich als Selbsterziehung in einer überschaubaren Gemeinschaft, an inspirierendem Ort (der Natur) und unter Zuhilfenahme aller 7 Sinne und der eigenen Schaffenskraft.
Traditionen sind hilfreich, aber immer wieder zu hinterfragen, zu erweitern, zu erneuern. Traditionen, Bräuche und Regelwerke helfen Jugendlichen selbst frühzeitig Leitung und Verantwortung für sich und andere zu übernehmen, und auf dem so gelegten Fundament aufzubauen. So kann das Prinzip „Jugend führt Jugend“ erfolgreich umgesetzt werden. Eine Matrize für die Führung moderner Firmen?
Es gäbe aus unserer Sicht vieles, was sich für Gesellschaft und Wirtschaft lohnen würde, von uns Pfadfindern aufzunehmen. Pfadfinder selbst wiederum benötigen den Freiraum und die Anerkennung ihrer Arbeit, um weiterhin „liefern“ zu können: Autonome, begeisterungsfähige, sozial kompetente Menschen, die bereit und in der Lage sind, dort wo sie hingestellt werden, Führung und Verantwortung zu übernehmen.
Eliteschmiede? Vielleicht auch das – zumindest eine interessante Fragestellung für eine zukünftige Fachtagung.
Wir sind froh, den Dialog zwischen Pfadfinderbewegung und Gesellschaft mit Hilfe der Wissenschaft auf einer neuen und hochwertigen Ebene eröffnet zu haben. Die große Resonanz von Teilnehmern und Referenten ist uns Ansporn und Verpflichtung zugleich, in partnerschaftlicher Zusammenarbeit, den Wissenschaftlern den nötigen Spielraum zu geben, in dem wir in bewährter Weise die Organisation sowie personelle und finanzielle Ressourcen für weitere Fachtagungen zur Verfügung stellen. Der zweiten Tagung wird eine dritte im Frühjahr 2014 – und damit selbst schon ein wenig in einer guten Tradition – folgen. Dann jedoch in Mainz in Zusammenarbeit mit dem Fachbereich Erziehungswissenschaften der Johannes Gutenberg Universität unter der wiss. Leitung von Prof. Dr. Matthias D. Witte. Wir sind gespannt auf neue Fragestellungen und Antworten.
Die Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit dieser Tagungsreihe hat viele Menschen aus der Pfadfinderszene begeistert. So hat der „bekennende Pfadfinder“ Bundespräsident a.D. Prof. Dr. Horst Köhler die Schirmherrschaft für die Tagung 2014 gern übernommen.
Allen Lesern empfehlen wir die Lektüre des ersten Bandes dieser sich abzeichnenden Reihe: „Pfadfinden – eine globale Erziehungs- und Bildungsidee aus interdisziplinärer Sicht, E. Conze und M.D. Witte (Hrsg.), Springer VS 2012
Pfadfinder Hilfsfond e.V.
Jörg Krautmacher , Vorsitzender, Februar 2013